Zusammen alles erreichen

Gemeinsam alles erreichen

Tausende Menschen bildeten im Sommer
2017 eine Kette um den Hambacher Wald. Sie traten für den Stopp des Kohleabbaus ein. [1]
Selbstverständlich sind für die Gestaltung des Strukturwandels technische und praktische Ideen notwendig – so wie in den beiden vorherigen Kapiteln beschrieben. Doch um diese umzusetzen und auch um einen bestmöglichen Umgang mit den Entscheidungen, die mit dem Strukturwandel auf uns zukommen, und damit verbundene Sorgen, Herausforderungen und Chancen zu finden, braucht es noch mehr – vor allem mehr gemeinsames Handeln. Wie und wieso, haben wir hier skizziert:

Warum wollen wir selbst entscheiden, wie der Strukturwandel aussieht?

Der derzeitige Plan der Landesregierung Nordrhein-Westfalen sieht vor, dass sie entscheidet, wie der Strukturwandel im Rheinischen Revier verläuft.

Der Strukturwandel im Revier ist bereits in vollem Gang. Jetzt ist die Frage, wollen wir darüber entscheiden oder sollen das andere tun? [2]
Wahrscheinlich wird es einige „Beteiligungsverfahren“ geben, in denen Wünsche geäußert werden können, von denen dann vielleicht wenige berücksichtigt werden. Es ist dieselbe Regierung, die jahrzehntelang gemeinsam mit RWE die Menschen ihrer Heimat beraubt, den guten Boden für die Landwirtschaft zerstört und Wald und Natur riesige Schäden zugefügt hat. Sie hat uns Jahrzehnte überhört und übergangen. Kein Wunder also, wenn wir nicht darauf vertrauen wollen, dass in Zukunft unsere Stimmen gehört werden. Dabei wissen wir selbst am besten, was es für unsere Region nun braucht, denn wir sind diejenigen, die vom Strukturwandel und damit verbundenen Änderungen direkt betroffen sind. Deshalb sollte es nicht nur „Mitbestimmung“ für uns geben, sondern Selbstbestimmung.

Wie werden die Gelder vom Bund, die ins Rheinische Revier fließen sollen, eingesetzt? Welche Infrastruktur brauchen und wollen wir? Was soll mit den ehemaligen Tagebauen passieren? Ein See? Ein Solarkraftwerk? Ein interaktives Museumserlebnis, das an die Zerstörung erinnert? Welche Arbeitsfelder sollen entstehen? Wie wollen wir arbeiten?

Diese wichtigen Fragen und noch viele mehr gilt es zu beantworten. Wir können das der Regierung überlassen oder es selbst in die Hand nehmen.

Jahrzehntelang wurden dörfliche Strukturen ausgedünnt: Geschäfte, Kneipen und Räume für Kinder, Jugendliche und Senior*innen sind geschlossen; viele Dorfbewohner*innen sind schon weggezogen und RWE sät weiter Misstrauen und Missgunst. Gemeinsam zu handeln und entscheiden bietet uns die Chance, wieder zusammen zu kommen. Wir kommen miteinander ins Gespräch über Alltägliches, über Sorgen und Freuden, sehen uns regelmäßig, freunden uns vielleicht an. Wir stärken unsere Gemeinschaft, die ein Netz sein kann, in dem wir füreinander da sein, Aufgaben teilen und uns unterstützen können.

Warum können wir selbst entscheiden?

Im Gemeinsamen liegt viel Kraft. Das erfahren wir, wenn wir zusammen in Vereinen Sport oder Musik machen oder Feste und Veranstaltungen organisieren. Das erfahren wir, wenn die Nachbar*innen auf unsere Kinder aufpassen, uns bei Renovierungsarbeiten helfen oder uns zum Bahnhof mitnehmen, wenn kein Bus mehr fährt.

Es geht z.B. darum zu entscheiden, welche Infrastruktur wir brauchen

Und auch im Widerstand gegen den Braunkohleabbau haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir bei allen Rückschlägen durch gemeinsames Handeln Großes bewirken können. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass es einmal eine Kohlekommission geben würde? Wer, dass wir darin vertreten sind? Wir haben gelernt und lernen, wie es möglich ist, gemeinsame Entscheidungen zu treffen, bei denen möglichst niemand übergangen wird. Etwas, das die Regierung in den seltensten Fällen schafft >> Exkurs „Basisdemokratie“.

Die Region hat Veränderungen erlebt. Wir können den Strukturwandel selbst gestalten.

Viele von uns leben bereits seit Jahren und Jahrzehnten in der Region. Wir haben viele Veränderungen miterlebt, konnten sehen, welche gut und welche schlecht waren. Wir wissen selbst am besten, woran es uns fehlt – und wovon es zu viel gibt. Dadurch haben wir ein ganz besonderes Gespür für diese Region.

Wir haben also die Erfahrungen, gemeinsam Großes zu organisieren und die Ideen, was es in der Region braucht.

Unter Druck: Energieminister Peter
Altmaier muss sich den Fragen der Fridays-For-Future-Bewegung stellen [3]
Wir können auch unseren Strukturwandel selbst gestalten. Dabei gibt es nicht den einen richtigen Weg, aber es ist an der Zeit zusammen verschiedene auszuprobieren.

Was sind die Herausforderungen und wie können wir ihnen begegnen?

Gemeinsame Entscheidungen zu finden ist aufwendig. Es braucht Räume, Zeit, Geduld und Organisation. Dabei steht auch infrage, ob es überhaupt möglich ist, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen. Es könnte frustrierend sein.

Viele Menschen haben bereits negative Erfahrungen mit gemeinsamen Projekten gemacht – hatten den Eindruck übergangen zu werden, doch nichts zu erreichen, haben sich mit anderen zerstritten und letztendlich das Gefühl: „Das war’s nicht wert“. Damit sich diese negativen Erfahrungen in der Zukunft nach Möglichkeit nicht wiederholen, können wir Methoden ausprobieren, die anderen Menschen und Gruppen bereits bei ihren Projekten geholfen haben, seien es eine gut strukturierte Moderation, Onlineplattformen zum Informations- und Meinungsaustausch oder faire Entscheidungsverfahren. >> Exkurs „Basisdemokratie“

Bei 40-Stunden-Jobs, der Pflege von Eltern, Großeltern und Kindern und all den anderen Verpflichtungen, die das Leben so mitbringt, mag die Vorstellung, sich um sämtliche Entscheidungen selbst zu kümmern, abschreckend sein. Doch nicht jede Entscheidung muss tatsächlich von allen gemeinsam getroffen werden – es braucht Arbeitsteilung, aber gleichzeitig für jede*n die Option, alle Entscheidungen mit treffen zu können. Außerdem müssen wir langfristig die Rahmenbedingungen ändern, sodass mehr Zeit frei wird, um sich diesen Vorhaben zu widmen, z.B. eine deutliche Verminderung der Wochen(lohn)arbeitsstunden. >> Kapitel „Arbeiten im Revier“

Es existieren nur noch wenige Räume, in denen wir zusammenkommen können.

Wir können zusammenkommen, um Entscheidungen zu diskutieren [4]
Räume, in denen wir uns (wieder/noch) besser kennenlernen, uns austauschen und uns in unserem Alltag entlasten können. Orte, an denen wir gemeinsame Strategien entwickeln und gemeinsame Entscheidungen treffen können. Orte, in denen auch ein Kino, ein Jugendzentrum oder eine Fahrradwerkstatt sein können. Das heißt Räume, die wir auch selbst nach unseren Bedürfnissen gestalten können.

Nun wird es also darum gehen, solche Räume aus- und an vielen Stellen (wieder) aufzubauen. Räume, die z.B. durch den Rückzug von RWE aus der Region freiwerden oder durch das Ende des Kohleabbaus bestehen und wieder genutzt werden können.

Und teilweise gibt es sie auch schon, beispielsweise die Alte Schule in Wanlo, die als Dorfgemeinschaftshaus generationenübergreifend mit Freizeit- und Weiterbildungsangeboten als Begegnungsort und Treffpunkt dienen soll. Doch auch Gemeinde-, Vereinsräume oder Kneipen haben früher Platz für Gemeinschaft geboten und tun dies an den Orten, an denen es sie noch gibt, auch heute.

Es geht also nicht um etwas völlig Neues, sondern vor allem um ein Stärken und Wiederaufbauen dessen, was es schon gibt und gab. Hierdurch bringen wir auch wieder mehr Leben in die Dörfer – und setzen der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, in denen viele Angebote durch die wachsende Bedrohung der Abbaggerung verschwunden sind, etwas entgegen.

Bei diesen Veränderungen im Revier wollen wir mit allen zusammenarbeiten, die sich daran beteiligen wollen, den Strukturwandel zu nutzen, um das Rheinland und die Dörfer gemeinschaftlich zu gestalten – ob Schulen, Vereine, Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden oder Initiativen. Nur so kann es uns gelingen, unsere Ideen auch langfristig umzusetzen.

Durch diese Ideen kann mit dem Strukturwandel das Rheinische Revier zu einem Rheinland der Gemeinschaft zusammenwachsen.

Eine Region, in der Entscheidungen von denen getroffen werden, die von ihnen betroffen sind. Eine Region, in der Dörfer wieder lebenswert sind. Eine Region, in der die Menschen einander kennen und füreinander da sind.

Zum Weiterlesen

Detaillierte, einfach verständliche und sehr schöne Broschüren zur Frage: „Wie kann ich mich mit anderen Menschen gemeinsam engagieren?“

  • Solidarity will win. Alles eine Frage der Organisierung (Interventionistische Linke Berlin): t1p.de/will-win
  • Wie wir uns gemeinsam gegen den Mietenwahnsinn wehren können (AG Starthilfe des Mieter*innenprotests und der Kampagne Deutsche Wohnen und Co enteignen): t1p.de/zusammentun

 

Bildnachweise
[1] rote_linie_2017 von Jörg Farys/BUND, flic.kr/p/WPFqfA, CC BY-NC-SA 2.0 
[2] Bergheim von Jean-Marie Clausse, flic.kr/p/WVck69, CC BY-NC-ND 2.0
[3] Fridays for Future von Jörg Farys/WWF/FridaysForFuture Deutschland, flic.kr/p/2ekmUpu, CC BY 2.0
[4] netzvitamine, flic.kr/p/bDEyd3, CC BY-NC 2.0